Die Absurdität deutscher Debatten über Nachrichtendienste

Deutschland muss sich endlich den internationalen Realitäten über Nachrichtendienste stellen. Das Feindbild USA ist ebenso unangemessen wie die öffentliche Behandlung von NSA und BND. Russland und China werden kaum beachtet, sind aber ein viel größeres Problem.

von Felix F. Seidler.
Felix F. Seidler ist freier Mitarbeiter am Institut für Sicherheitspolitik an der Universität in Kiel und Administrator von Seidlers Sicherheitspolitik. Dieser Artikel wurde dort als erstes veröffentlicht.

Nachrichtendienste verdienen Fairness

Bei den Diskussionen der letzten Wochen konnte man den Eindruck gewinnen, der BND sei als verlängerter Arm der NSA der Totengräber unserer digitalen Freiheiten. Unsinn. Wäre nicht Sommerloch und der Wahlkampf nicht so inhaltsleer, hätte sich die Sache längst wieder erledigt. Wie immer wird hierzulande nur darüber diskutiert, was man aus moralischer und rechtlicher Sicht denn tun dürfe. Deutsches Recht ist dabei wie selbstverständlich global das Maß aller Dinge. Auswirkungen und Ergebnisse von Handeln – geschweige denn Verbesserungsvorschläge – kommen in deutschen Debatten nur am Rande vor. Lieber Empörung statt Lösung.

Ignoriert wird auch, dass Nachrichtendienste in der öffentlichen Debatte immer schlecht wegkommen. Dienste wie der BND sind nur dann erfolgreich, wenn die andere Seite nicht merkt, was er tut und keinen Einblick in die Methoden erhält. Der BND kann keinen jährlichen Bericht darüber veröffentlichen, mit welchen Methoden er wie viele Terroranschläge verhindert hat. Er würde damit seine eigene Arbeit konterkarieren.

Folglich finden nur die Pannen Wiederhall in den Medien. Die Monate oder Jahre, in denen der BND still und leise seine Arbeit macht und mit keinem Wort in den Medien auftaucht, registriert kein Mensch. Keine Schlagzeilen sind im Falle eines Nachrichtendienstes aber gute Nachrichten. Das sollte man berücksichtigen, bevor man sich öffentlich über die rund 6.000 BND-Mitarbeiter (und Mitbürger) urteilt.

Feindbild USA

Es ist Wahnsinn, wie sehr sich Politik, Presse und Gesellschaft sich auf die USA eingeschossen haben. Nicht Al Qaida, Irans Atomprogramm oder die Instabilität im gesamten Mittelmeerraum, sondern CIA und NSA werden von vielen hier als größte Gefährdung für unser Land aufgefasst. Dabei ist den Amerikanern die private Kommunikation von Otto Normalinternetnutzer völlig egal. Sie ist schlicht irrelevant und Beschäftigung damit ist reine Zeitverschwendung. Um Russland und China schert sich dagegen kein Mensch.

Dass in Stuttgart ein russisches Agentenehepaar, das seit über zwanzig Jahren in Deutschland für Russlands Nachrichtendienst spioniert hat, zu „langen Haftstrafen“ verurteilt wurde, ist dank Snowden in der öffentlich-politischen Debatte weitgehend untergegangen. Die russische Praxis, ein Ehepaar über Jahrzehnte unter falscher Identität im Ausland wohnen zu lassen, erinnert sehr stark in die KGB-Praxis der sowjetischen Illegalen im Kalten Krieg (vgl.: Andrew/Mitrochin 1999: 232-251, 271-287). Um Chinas Industriespionage sorgen sich nur große Unternehmen und der Mittelstand, obwohl dieses von der Regierung in Peking gebilligte Vorgehen unmittelbar deutsche Arbeitsplätze gefährdet.

Gingen die USA wie Russland und China in Deutschland vor, man würde den lauten Aufschrei von Flensburg bis Füssen noch auf Tahiti hören. Deutschland legt definitiv die falschen Maßstäbe an. Die Amerikaner sind – bei all Ihren Missetaten, die man zu Recht kritisieren kann – immer noch ein enger Alliierter, der uns kostenlos mit Informationen versorgt, die zur Sicherheit unseres Landes beitragen. Russland legte dagegen mit Cyber-Attacken 2007 mal eben unseren NATO- und EU-Alliierten Estland lahm. Daher sind die USA für uns im Cyber-Space aufgrund ihrer Kapazitäten nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung.

Teil des Spiels

Früher hatten wir Echelon. Dieses Jahr hatten wir Snowden und PRISM. Der nächste vermeintliche „Skandal“ wird kommen, weil wieder irgendwann Pannen eines amerikanischen oder deutschen Nachrichtendienstes öffentlich werden. Anstatt aber den bequemen Weg zu gehen und sich auf die Dienste einzuschießen, gehört die Politik mehr ins öffentliche Fadenkreuz.

Die Kontrolle von Nachrichtendiensten ist Sache gewählter Volksvertreter. Es wäre wahrlich eine Debatte wert, inwieweit die Abgeordneten da ihre Arbeit richtig machen. Dass sich das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestages jetzt extra mit der „NSA-Affäre“ befasst, ist zwar dem Wahlkampf und öffentlichen Druck geschuldet, aber nichtsdestotrotz auch ein Eingeständnis, dass man diese Thematik über Jahre hinweg verschlafen hat. Sonst bräuchte man die zusätzlichen Sitzungen mitten in der Sommerpause nicht.

Spionage war, ist und bleibt Teil des internationalen politischen Spiels. Vor Syrien lag auch mal ein deutsches „Flottendienstboot“ zur elektronischen Aufklärung. Wer den Kampf um Informationsüberlegenheit aufgibt, hat international schon verloren. Ob das der deutschen Öffentlichkeit gefällt oder nicht, ist für die internationale Politik so relevant wie für die NSA private Mails mit Liebesgrüßen.

Nahezu alle Staaten in der Welt unterhalten mehrere Nachrichtendienste. Inlands-, Auslands- und Militäraufklärung sind dabei nur drei von vielen Bereichen. Im Falle der Auslandsaufklärung muss man sich darüber klar sein, dass ein Nachrichtendienst die einzige staatliche Stelle eines Staates ist, die damit beauftragt ist, Gesetze zu brechen. Das sind zwar ausländische Gesetze, aber es sind immerhin Gesetze. Alle tun und alle wissen das, aber keiner redet öffentlich darüber. Willkommen in der Realität.