Zivilklausel & Strategische Studien: Worum es wirklich geht

„Kriegsforschung, forschen für Kriegszwecke, Militärstudien, Militärforschung“: Klingt alles irgendwie gleich und böse. Alles in einen Topf werfend vermittelt Spiegel Online heute diesen Eindruck. Mit Zivilklauseln soll sicherheitspolitische Forschung aus deutschen Unis vertrieben werden. Das ist wenig sinnvoll.

[notice]von Felix F. Seidler.
Felix F. Seidler ist freier Mitarbeiter am Institut für Sicherheitspolitik an der Universität in Kiel und Administrator von Seidlers Sicherheitspolitik. Dieser Artikel wurde dort als erstes veröffentlicht.
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Politisches Standardwissen

Versteht man „Kriegsforschung“ als akademische Disziplin, so wird diese in Europa ausschließlich am War Studies Department des Londoner Kings College angeboten. Allerdings sind die britischen Wissenschaftler meilenweit vom Vorwurf des Militarismus entfernt. In Form des Programms „Women in War and International Politics“ hat auch hier der Zeitgeist Einzug gehalten. „Military Studies“ kann man in Deutschland ausschließlich an der Uni Potsdam studieren. Gegen die geschichtswissenschaftliche und soziologische Auseinandersetzung mit dem Jahrtausende alten Phänomen „Militär“ spricht nichts.
Kerngeschäft des im SPON-Artikel mit negativem Unterton thematisieren ISPK – ich bin dort Doktorand – sind sicherheitspolitische Forschung und Strategische Studien. Dass beides 22 Jahre nach Ende des Kalten Krieges mit „Krieg“ oder der Anwendung militärischer Gewalt nur noch sehr wenig zu tun hat, ist nach all den Debatten über vernetzte Sicherheit und neue globale Herausforderungen eigentlich politisches Standardwissen. Das Strategic Studies Institute der US Army beschäftigt sich heute mit dem Cyber-Space oder den Folgen des „US-Disengagements“ für Europa, aber immer weniger mit klassischen Militäroperationen. Wer immer noch die ewig gleiche Anti-Kriegs-Polemik bringt, beweist damit nur, dass er die heutige Lage in der internationalen Politik einfach nicht verstanden hat.
Doch der SPON-Artikel beginnt mit der Frage: „Forschen für Kriegszwecke – ist das ethisch vertretbar?“ Die Frage enthält direkt die Aussage, es würde bereits für Kriegszwecke geforscht. Außerdem wird impliziert, entweder plane oder führe jemand einen Krieg, für den es zu forschen gelte. Ich habe nicht vor, der Autorin böse Spiele mit historischen Analogien zu unterstellen, aber der fade Beigeschmack politischer Meinungsmache bleibt; auch durch die mehrfach durchaus verschwörerisch angehauchten Verweise rund um die Finanzierung.

Wissenschaftlicher Sachverstand ist notwendig

Eine Mehrheit der Bundeswehr-Soldaten mit Kampferfahrung aus Afghanistan wird sagen, am Hindukusch herrscht Krieg. Wir erinnern uns alle an die von Minister a. D. Guttenberg angestoßene Debatte. Aber zwischen der subjektiven Erfahrung des kämpfenden Soldaten, deren politisch-begrifflicher Einordnung und dem abstrakten Konzept von Krieg als großflächig organisierter Anwendung militärischer Gewalt gibt es doch nennenswerte Unterschiede. Ein „Gefecht“ macht noch keinen „Krieg“. Andererseits ist es eine wissenschaftlich sehr spannende Frage, ob ein „Krieg“ im digitalen Zeitalter überhaupt noch ein „Gefecht“ braucht. Forschungsbedarf???

Die Zeiten sind vorbei, in denen Generäle und Strategen auf große Karten blicken und Grenzen des zu Erobernden festlegen. In all den Territorialkonflikten Asiens besteht nicht die Gefahr, dass eine Seite über Jahre einen Angriffskrieg vorbereitet. Die Gefahr liegt in einer aus einem unbeabsichtigten Zwischenfall resultierenden Spirale der Gewalt, aus der zum Beispiel China und Japan wegen des wachsenden Nationalismus nicht mehr herauskommen könnten. Da bleibt zu hoffen, dass sicherheitspolitische und strategische Wissenschaftler Konzepte für auf die Region anwendbare vertrauensbildende und konfliktverhütende Maßnahmen entwickeln.

Über die Jahre des Bloggens hinweg hatte ich mit vielen Afghanistan-Veteranen Kontakt. Eine häufige Klage war, dass „die da in Berlin“ Lage und Notwendigkeiten vor Ort nicht richtig verstehen. Gleiches hat man seit zehn Jahren immer wieder in diversen Medien lesen und hören können. Man sollte es daher begrüßen, wenn sich das BMVg externen Sachverstand für einen neutralen „Lessons Learned“-Prozess über Afghanistan holt. SPON berichtete dazu:

„Die Millionen flossen für Forschung, die von der Uni im Auftrag dieser Institutionen durchgeführt wurde – wie zum Beispiel eine Studie des Kieler Instituts für Sicherheitspolitik (ISPK) zum Thema Aufstandsbekämpfung in Afghanistan, erstellt für das Verteidigungsministerium und damit indirekt für die Truppen der Bundeswehr. Oder Projekte mit der Verwendungsbeschreibung „militärische Operationen“

Die Ergebnisse dieser ISPK-Studie werden bald auf Deutsch und Englisch veröffentlicht. Dann kann sich jeder ein eigenes Bild machen. Allerdings war die DGAP bei der Vorstellung der Studie mit mehr als 100 Leuten bis auf den letzten Platz gefüllt. Interesse und Wissensbedarf zu dem Thema waren also jede Menge vorhanden.

Worum es wirklich geht

Man darf den Befürworten der Zivilklausel nicht auf den Leim gehen. Es geht ihnen nicht um die Wissenschaft, sondern allein darum, eine bestimmte Weltanschauung durchzusetzen. Wer sagt, an Universitäten dürfe Bestimmtes nicht mehr geforscht und gelehrt, damit also auch nicht mehr gesagt und geschrieben werden, sollte sein Verhältnis zur Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit prüfen. Freiheit ist immer auch die Freiheit des Andersdenkenden, wie es so schön heißt.

Frieden fängt zuhause an

Es spricht Bände über das Auftreten der Kieler Zivilklausel-Befürworter, wenn mein Kollege, der SPON Auskunft gab, aus Furcht vor Repressalien lieber anonym bleiben möchte.

„Absurd“, findet ein ISPK-Mitarbeiter, der aus Angst vor massiven Anfeindungen anonym bleiben möchte, die Forderungen der Studenten.“ (Link)

Man kann in einer Demokratie zur Zivilklausel stehen, wie man will, sollte sich aber im Umgang miteinander mit einem Mindestmaß an zwischenmenschlichem Respekt gegenübertreten. Guter Stil unter Demokraten und Wissenschaftlern ist, wenn man sich auch nach kontroversen Debatten die Hand reicht.