Welche geopolitischen Ambitionen Deutschland entwickeln muss

Diese Legislaturperiode ist ein „Window of Opportunity“ für die deutsche Außenpolitik. Noch sind wir außerhalb Europas eher Gestaltungssubjekt denn -objekt. Wollen wir geopolitische Ambitionen entwickeln, dann jetzt oder nie. Dabei kommt es neben Angela Merkel vor allem auf den neuen Außenminister an. Mit einem aktiveren Bundestag ist leider nicht zu rechnen.

[notice]von Felix F. Seidler.
Felix F. Seidler ist freier Mitarbeiter am Institut für Sicherheitspolitik an der Universität in Kiel und Administrator von Seidlers Sicherheitspolitik. Dieser Artikel wurde dort als erstes veröffentlicht.
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Zurücklehnen gilt nicht mehr

Angela Merkel, nun die personifizierte Hegemonie in Deutschland und Europa, ist auf dem Höhepunkt ihrer Macht. In den Geschichtsbüchern wird sie später daran gemessen werden, wie sie diese Macht genutzt und was sie damit erreicht hat. Der Rückhalt in der Bevölkerung könnte größer kaum sein. Mit der voraussichtlich kommenden Großen Koalition gibt es eine solide Mehrheit in Bundestag und eine ganz große Koalition mit den Grünen im Bundesrat. In anderen Hauptstädten kann sich Merkel nicht mehr hinter das Argument zurückziehen, die politische Lage daheim sei kompliziert.

Anderswo sind die Erwartungen an Deutschland aber vergleichsweise gering. Charles A. Kupchan vom Council on Foreign Relations ist überzeugt, Hoffnungen Washingtons auf ein „more outward-looking Germany“ werden unerfüllt bleiben. Allerdings steht die heute allseits gepriesene deutsche Macht nicht auf einem soliden Fundament. Mangelnde Reformen, die Schuldenbremse, der demografische Wandel sowie früher oder später aus €uropa kommende Belastungen werden dafür sorgen, dass der Deutschland-Hype alsbald sein Ende findet. Also entweder kommt es in dieser Legislaturperiode zu einer aktiveren deutschen Außenpolitik und mehr geopolitischen Ambitionen oder der Zug ist ein für alle Mal abgefahren.

Geopolitische Ambitionen

Um Europa soll es hier nur am Rande gehen. Die Problematik ist bekannt und war oft genug Gegenstand der Debatte. In Anlehnung an Clemens Wergin geht es hier um Außenpolitik „als Politik jenseits der Grenzen Europas“. Ureigenes deutsches Interesse ist es, dass Autokratien nicht eben dieses internationale Umfeld gestalten. Mit westlich-orientierten Regierungen arbeitet es sich wirtschaftlich leichter zusammen als mit Autokratien. Die USA, Australien und Japan respektieren im Gegensatz zu China den Schutz geistigen Eigentums (weitestgehend).
In den nächsten Jahren werden wir auch deutlich die Folgen von Assads Siege zu spüren kommen. Blicken wir zurück: 2011 und 2012 posaunten westliche Politiker unisono in die Kameras, Assads Regime stehe kurz vor dem Fall. Die Rebellen hat man hängen lassen, auch nachdem das Regime militärisch wieder die Oberhand gewann. Nach der Bemerkung John Kerry’s über die Aufgabe von Assads Chemiewaffen haben Russland und Syrien die USA eiskalt ausgespielt. Mit der schnell bekanntgegeben Aufgabe des C-Waffenarsenals und dem Beitritt zur C-Waffenkonvention nahmen man den USA für einen Militärschlag den Wind aus den Segeln. Vom Bürgerkrieg als Ausgangspunkt redet seitdem keiner mehr. Stattdessen geht auf einmal nur noch um Syriens C-Waffen. Ganz nebenbei wurde von 2011 bis 2013 so das Drehbuch geschrieben, wie man den Westen bei Deckung durch Russland oder China ausmanövrieren kann. Nachahmer werden sich finden. Deutschland muss mit seinen Partnern dafür Sorge tragen, dass sich so etwas um des globalen Status des Westens willen nicht wiederholt.
Außerdem müssen im Wettrennen der Freihandelszonen mithalten. In Asien entsteht rund um ASEAN eine riesige Freihandelszone und entgegen mancher Abgesänge ist der Pivot nicht tot, sondern wird über Trans Pacific Partnership von der Obama-Administration munter weiter forciert. Hans-Ulrich Klose und Klaus Scharioth haben völlig recht damit, dass die Einrichtung der Transatlantischen Freihandelszone „ein Signal für die Vitalität des Westens“ wäre. Für die Umsetzung geopolitischer Ambitionen sollten die Europäer mit den Amerikanern zu einem Gentlemen’s Agreement kommen. Offizielle Vereinbarungen provozieren ohnehin nur Gegenreaktionen. Die USA setzen westliche Interessen im Indo-Pazifischen Raum durch, während sich Europa stärker auf den westlichen Indischen Ozean, (Nord-)Afrika sowie Zentralasien konzentriert. Im Nahen Osten tritt man gemeinsam auf. Ein deutscher Außenminister müsste in einem solchen Gentlemen’s Agreement die Rolle eines Koordinators und Vermittlers einnehmen.
Bei einem solchen Plädoyer für die Entwicklung geopolitischer Ambitionen schwingt ein wenig Frage mit, ob Deutschland nicht auch geostrategisch, das heißt unter Ausnutzung militärisch-räumlicher Gegebenheit, wirken sollte. Die ständige Marinepräsenz Deutschlands im Indischen Ozean seit 2002 über OEF und Atalanta hat sich durch die Sicherung vitaler Seewege bewährt. Da geostrategisches – nicht geopolitisches – Wirken Deutschlands aus verfassungsrechtlichen Gründen fast ausschließlich im Rahmen von EU und NATO denkbar ist, kommt dem EU-Sicherheitsgipfel im Dezember entscheidende Bedeutung zu. Liefert der Gipfel keine signifikanten Ergebnisse für ein ernstzunehmendes Europa, bleibt nur noch der NATO-Gipfel 2014 in England, um die komplette militärische Irrelevanz Europas abzuwenden. Geht auch das in die Hose, dann war’s das.

Ein ständiger Sitz UN-Sicherheitsrat ist unrealistisch

Der jüngst abgewählte Außenminister hat kurz vor Ende seiner Amtszeit nochmal für einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat geworben. Abseits der Tatsache, dass unsere westlichen Verbündeten aufgrund der Libyen-Entscheidung uns dabei in diesem Jahrzehnt nicht mehr unterstützen werden, geben die deutschen und internationalen Realitäten einen Sitz Deutschlands nicht her.
Womit soll sich dieser Sitz begründen? Mit dem deutschen finanziellen Beitrag, also mit Geld? Ist ziemlich wenig und warum sollte irgendjemand dem deutschen Wunsch nachgeben, wenn Berlin auch so ohne Murren zahlt. Deutsches Engagement? Die Beiträge der Bundeswehr zu UN-Missionen sind eher mager und ziviles Engagement wurde viel gepriesen, aber viel zu wenig geliefert. Mit der weltpolitischen Konstellation? In jedem ausländischen Planungsstab weiß man um die deutschen finanziellen und demografischen Daten. Außerdem hat Europa bereits zwei Sitze und aufgrund der veränderten internationalen Konstellation sind zuerst einmal andere dran: Ein afrikanischer Staat, Brasilien als Vertreter Südamerikas, Indien als bald bevölkerungsreichstes Land der Welt, usw.
Last, but not least: Wer glaubt ernsthaft, dass Staaten mit strategischem Weitblick das Veto-Recht einem Land anvertrauen, bei dem die Entscheidung über das Veto permanent davon abhängt, wann die nächste Landtagswahl ist? Nur wenn Deutschland mehr zur Gestaltung der internationalen Ordnung beiträgt als bisher, kann es für sich den dritten europäischen Sicherheitsratssitz verdienen.

Ein geschwächter Bundestag

Viele erfahrene Außen- und Sicherheitspolitiker haben den Bundestag mit dieser Wahl verlassen (z.B. Polenz, Klose, Hoff). Zurzeit gibt es nur wenige Hoffnungsträger, wie etwa Roderich Kiesewetter (CDU) und Omid Nouripour (Grüne). Mit Blick auf das Personal der Parteien ist zu befürchten, dass wir einen der unerfahrensten Auswärtigen Ausschüsse bekommen, den der Bundestag jemals hatte. Karriere macht man als MdB bekanntlich anderswo.

Eine stärkere Zusammenarbeit des Bundestages mit Parlament außerhalb Europas wäre eigentlich dringend geboten; vor allem mit dem US-Kongress wegen der Ratifizierung der Transatlantischen Freihandelszone. Rein theoretisch ist der Bundestag für eine strategischere deutsche Außenpolitik eher Teil der Lösung als Teil des Problems. Mit eigenen Konzepten und Resolutionen müssten die Abgeordneten viel stärker Einfluss ausüben, als auf die nächste Regierungserklärung zu warten. Rein praktisch aber kann man davon ausgehen, dass sich Herrschaftswissen und Gestaltungsspielraum in der Regierung und ihren Bürokratien konzentrieren. Leider habe ich noch keinen MdB gehört, der Reden wie Emily Haber hält.

Viel Glück,…

…neuer Außenminister. Nach den letzten vier Jahren liegt die Erfolgsmesslatte für den neuen Außenminister ebenso niedrig, wie es Nachholbedarf in Deutschlands außen-, sicherheits- und geopolitischer Ausrichtung gibt. Es kann also nur besser werden.

Die Europapolitik Berlins wird vermutlich weiterhin von Kanzleramt und Finanzministerium bestimmt werden. Die Aufgaben des AA liegen daher außerhalb Europas sowie auf neuen Themengebieten wie Cyber. Egal, aus welcher Partei der neue Außenminister am Ende kommt, ich drücke ihm beide Daumen für eine erfolgreiche, neue und hoffentlich kreative Gestaltung deutscher Außenpolitik.